25 Jahre Einsatz für Demokratie und Menschenrechte - Rückblick auf das ALI Jubiläum am 15. September 2011
An einem runden Geburtstag gibt es normalerweise Festreden, Gratulationen, Rückblicke. So war es auch, als die Gießener Arbeitsloseninitiative (ALI) ihr 25-jähriges Bestehen feierte. Doch bei allen Wortbeiträgen schwangen auch ambivalente Gefühle mit. Dies verdeutlichte gleich zu Beginn Richard Kunkel. »Wir gehören zu den Vereinen, bei denen es besser wäre, wenn man sie nicht bräuchte«, sagte der ALI-Vorsitzende. Dass die 1986 gegründete Initiative immer noch mehr als notwendig ist, beweist die langanhaltend hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen. Kunkel zählte die vielen Aktivitäten von Qualifizierungsangeboten in Kooperation mit dem Jobcenter bis zu Selbsthilfeprojekten auf, mit denen die Arbeitsloseninitiative Menschen ohne Job und mit geringem Einkommen unterstützt.
Auch OB Dietlind Grabe-Bolz erinnerte an die Entstehung der ALI, die seinerzeit getragen worden sei von dem Grundgedanken einer solidarischen Gemeinschaft, »in der man sich gegenseitig unterstützt«. Weil man sich nicht an Arbeitslosigkeit gewöhnen oder sich damit arrangieren dürfe und weil hinter Zahlen und Statistiken immer auch Menschen stünden, werde die ALI »so lange bestehen bleiben wie sie gebraucht wird«. »Bei der Arbeitsloseninitiative steht der Mensch im Mittelpunkt« unterstrich auch Anita Schneider. Jeder, so die Landrätin, sollte eine Chance auf eine Ausbildungsstelle, auf Qualifizierung und auf einen Arbeitsplatz haben.
Festredner Prof. Franz Segbers, Armutsforscher aus Marburg´, hielt es für »nicht alltäglich, dass eine solche Institution 25 Jahre lang durchhält.« Der Professor für Sozialethik machte im Konzertsaal des Rathauses „eine verfehlte und falsche neoliberale Ideologie" für die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, die Krise des Sozialstaates und die Arbeitslosigkeit verantwortlich.Mit Zitaten aus der 1946 formulierten Hessischen Verfassung machte Segbers deutlich, „welche Welt wir nach dem Krieg verloren haben". Schon vor der Finanzkrise seien die Armen und die Arbeitslosen „die ersten Opfer der falschen katastrophalen Wirtschaftspolitik" geworden. „Die Arbeit des Menschen geriet in die Mühlsteine der Kapitalinteressen." Für den Festredner ist Arbeitslosigkeit „eine Verletzung der Menschenrechte und ein Anschlag auf die Würde des Menschen". Scharfe Kritik übte Segbers an Hartz IV als „Ausdruck eines geänderten Menschenbildes". Im Sozialgesetzbuch (SGB) II zähle der Bürger „nur als Arbeitsbürger". Die neuen Formen der Arbeit seien Minijobs, Midijobs, Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit. Mit Blick auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 bezeichnete Segbers die Sozialhilfe als ein „unbedingtes Menschenrecht, das als soziokulturelles Existenzminimum nicht an eine Gegenleistung gebunden ist". Das Recht des Menschen auf Leben gehe jeder Pflicht zu einer Gegenleistung voraus. Deshalb sei „ein bedingungsloses repressionsfreies Grundeinkommen unabdingbar". Der Gastredner dankte der Arbeitsloseninitiative Gießen für ihren „Dienst an der Demokratie und Ihren Beitrag für die Achtung der Menschenrechte in diesem Land.
Mit massiven Vorurteilen gegen Leute ohne Arbeit räumte ein von Ali-Mitgliedern vorbereiteter Sketch auf, in dem „Frau Besserwisserin" einigen Betroffenen beißend-satirische Fragen für das „Assi-TV" stellte. Mit viel Beifall wurden die musikalischen Beiträge der von Dr. Ulli Eskens geleiteten Klezmer-Gruppe „Die Shpielrattzen" bedacht.